Interview mit Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling

Ein Traum wird Wirklichkeit

Professor Dr. Christian Schwarz-Schilling ist ein bekannter Politiker und anerkannter Wirtschaftsexperte. Er war unter anderem Postminister und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und bekleidete zahlreiche Ehrenämter. Anlässlich seines 80. Geburtstages (19.November 2010) wollte er ein musikalisches Projekt unterstützen. Er entschied sich für „Symphonia Momentum“. Wie es dazu kam, erzählt der Bach-Liebhaber im nachfolgenden Interview.

Was verbindet  Sie mit Christoph Schlüren?

Vor einigen Jahren hörte Christoph Schlüren eine alte Aufnahme der Berliner Philharmoniker aus dem Jahr 1949. Sie wurden von  Sergiu Celibidache dirigiert – Schlürens Lehrer.  Die Philharmoniker spielten eine Komposition meines Vaters, Reinhard Schwarz-Schilling. Es war der einzige Satz aus seinem Streichquartett F-Moll, den er orchestriert hatte. Herr Schlüren war von der Musik sehr beeindruckt und nahm Kontakt zu mir auf. Wir verstanden uns auf Anhieb. Gemeinsam haben wir bis heute mehrere musikalische Projekte mit der Musik meines Vaters realisiert. Zum Beispiel 2004:  Aus Anlass des 100. Geburtstags meines Vaters wurde eine Briefmarke herausgegeben, die sein kompositorisches Werk würdigt. Aus diesem Anlass organisierte Christoph Schlüren in vielen deutschen Städten Konzerte mit Werken von Reinhard Schwarz-Schilling. Unsere letzte gemeinsame Arbeit war ein Konzert mit der Geigerin Rebekka Hartmann und der Pianistin Serena Stella in Sarajewo.

Nicht jeder weiß, dass Ihr Vater ein bekannter Komponist war.

Das stimmt.  Mein Vater  hat bereits mit 14 Jahren angefangen, zu komponieren. Nach dem Abitur studierte er in München und Florenz Musik. Danach ging er nach Köln zu Walter Braunfels. Bei ihm standen Komponieren und Orgel auf dem Studienplan und bei Carl Ehrenberg das Dirigieren. Entscheidend aber war Vaters Wechsel zu dem großen Komponisten Heinrich Kaminski ins oberbayerische Ried.

Warum?

Kaminski gilt als einer der besonderen Fortführer der deutschen Tradition von Bach, Beethoven und Bruckner. Er hat – so kann man rückblickend sagen – meinen Vater entscheidend geprägt. In Ried lernte mein Vater seine spätere Frau, die polnische Pianistin Dusza von Hakrid, kennen. Sie heirateten 1929.

Eine Ehe, die ständig von den Nazis bedroht wurde…

…das stimmt. Meine Mutter war Jüdin. Dass sie überlebte und nicht ins KZ musste, verdankten meine Eltern nur einem couragierten Beamten.

Wieso?

1938 wurde mein Vater an die Hochschule für Musik in Berlin berufen. Bevor es an die Spree ging, veränderte  ein Beamter den jüdischen Geburtsnamen meiner Mutter und verschleierte so ihre wahre Identität. Dennoch verhörte die Gestapo meine Eltern immer wieder, weil sie Verdacht geschöpft hatten. Die Nazis fanden aber keine Beweise. Aber sie verhängten über  meine Mutter ein Auftrittsverbot. Das war schrecklich für sie. Und natürlich lebten meine Eltern in ständiger Angst, dass Mutters wahre Herkunft auffliegen könnte. Dennoch, und das bewundere ich sehr, weigerte sich mein Vater konsequent, in die NSDAP einzutreten.

Es ist interessant, dass ich die Wahrheit über meine Mutter vor einigen Jahren, nach dem Tode meiner Eltern,  erfuhr – während einer Reise durch Polen. Im Moment bin ich dabei, anhand von zahlreichen Dokumenten aus der damaligen Zeit, herauszufinden, wer dieser mutige Beamte war. Er lebt bestimmt nicht mehr. Aber ich hoffe, dass er Angehörige hat und ich die Chance bekomme, mich zu bedanken.

Bereits 1932 schrieb Reinhard Schwarz-Schilling das Streichquartett F-Moll. Jetzt wird es zum ersten Mal als Streicher-Symphonie aufgeführt. Warum macht Christoph Schlüren das?

Das hat er mir in einem unserer vielen Gespräche anvertraut. Er erzählte mir: „Wissen Sie, als ich die alte Rundfunkaufnahme zum ersten Mal hörte, hinterließ die ekstatische Dimension der Musik einen unauslöschlichen Eindruck in meinem Kopf und in meinem Herzen. Seitdem beschäftigte ich mich immer wieder mit diesem faszinierenden Streichquartett in F-Moll. Die ganze Musik schreit förmlich nach einem Orchester, damit sie ihre komplette Pracht und Herrlichkeit entfalten kann. Seither lebe ich mit dem Traum, dass nicht nur ein Satz (Introduktion und Fuge – die Red.), sondern das ganze Quartett in großer Besetzung erklingt“…

Jetzt wird aus dem Traum Wirklichkeit

Anlässlich meines achtzigsten Geburtstages kam mir die Idee, etwas Musikalisches zu unterstützen. Was lag näher, als das mit meinem Freund Schlüren zu besprechen. Er war begeistert und schlug nach kurzem Überlegen vor, Vaters Streichquartett F-Moll im Rahmen eines großen Konzertes mit einem Streichorchester aufzuführen.

Was wir damals noch nicht ahnten: Diese Idee führte dann auch noch zur Gründung eines neuen Orchesters, der „Symphonia Momentum“.  Und so wie die Sinfonie-Aufführung etwas ganz Besonderes ist, ist es auch dieses Orchester

Das erklären Sie bitte

Als wir uns darüber klar waren,  dass wir etwas mit jungen Leuten machen möchten entstand der Plan, ein Orchester zu gründen. Ein Orchester, in dem fortgeschrittene Studentinnen und Studenten wertvolle Erfahrungen sammeln können. Ein Orchester, dessen Besetzung – je nach Projekt – wechselt.   Ich schlug Christoph vor, er solle die besten Studenten des „Sarajevo Music Institute“ und andere junge Musiker  aus der ganzen Welt nehmen.  Herausgekommen ist ein 20-köpfiges Ensemble mit Musikern aus 12 Ländern von fünf Kontinenten.

Was ist das Besondere an der „Symphonia Momentum“?

In dem Orchester sind die unterschiedlichsten ethnischen Gruppen vertreten. Gruppen, die sich bedingt durch ihre Herkunft eigentlich ablehnen, wie im Falle von Ex-Jugoslawien: Gruppen, die durch Kriege zu erbitterten Feinden wurden. Jetzt kommen sie zusammen, um gemeinsam etwas zu schaffen – einen Klangkörper, der mit seinem kraftvollen Spiel die Herzen der Musikfreunde verzaubern soll.

Die Arbeit im Orchester, das gemeinsame Musizieren, der normale Alltag. All das verbindet nun die jungen Leute und sie werden zu einer Einheit, bei der die Herkunft keine Rolle mehr spielt.

Also erfüllt das Orchester auch eine gesellschaftspolitische Funktion?

Natürlich. Ich bin davon überzeugt, dass persönliches Kennenlernen und Zusammenarbeit die Basis für ein friedliches Miteinander der Völker bilden. Was kann es für junge Leute Schöneres geben, als mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt auf ein Ziel hinzuarbeiten. Die Erfahrungen, die die jungen Leute dabei machen, werden sie ihr Leben lang begleiten. Und sie werden ihnen helfen, die Welt vorurteilsfrei und offen zu betrachten. So wird das Orchester „Symphonia Momentum“ zu einem Symbol für Verständnis, Freundschaft und Frieden.

Das ist gelebte Globalität!

Und, was mir auch sehr wichtig ist: „Symphonia Momentum“ wird unbetretene Wege beschreiten und auch künstlerisch über Grenzen gehen. Ich freue mich, wenn es gelingt, mit den Musikern und Christoph Schlüren musikalische Werke, die nicht so im Fokus stehen, einem breiten Publikum bekannt zu machen.

Welche Instrumente spielen Sie?

Ich habe Orgel und Klavier gelernt, bin aber weit davon entfernt, zu sagen, ich beherrsche diese Instrumente. Ich spiele nur hin und wieder zur Entspannung.

Wie hat Musik Ihr Leben beeinflusst?

Musik ist für mich der elementare Teil der Kunst. Ich wurde sicherlich von meinen Eltern geprägt. Natürlich haben sie uns Kinder mit allen Künsten vertraut gemacht. Aber Musik überstrahlt alles für mich. Bis heute. Musik ist Leben und Energie.

Ich höre jeden Morgen während meiner Gymnastik ein bis drei Kantaten von Johann Sebastian Bach. Danach fühle ich mich fit und gewappnet für alle Aufgaben – egal, was da kommt. Ein Tag ohne Musik ist für mich ein verlorener Tag.

Heute ist mir klar, warum das so ist: Musik hat etwas mit Kosmos und Natur zu tun. Ein Komponist, der den Zusammenhang zwischen dem Menschen und den Gesetzen der Natur und des Kosmos  nicht beachtet, kann und wird keine bleibende Musik schaffen…

Wer ist Ihr Lieblingskomponist?

Johann Sebastian Bach – seine Musik ist unvergänglich.

Ihr Lieblingsstück?

Seine Matthäuspassion.

Glauben Sie, dass auch in der Popmusik etwas für die Ewigkeit geschaffen wurde?

Ja, die Lieder der Beatles.

Das Interview mit Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling führte der Journalist Thomas Pfundtner.

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