Ensemble als Integrations-Projekt
Reutlingen. Ein interessantes Konzert: Das frisch gegründete, international besetzte Ensemble, geleitet von Christoph Schlüren, gab am Mittwochabend ein Benefizgastspiel in der Aula der Freien Georgenschule.
Wie heißt dieses Ensemble nun eigentlich? “Symphonia Momentum” oder “Symphonia Orient – Occident”? Diesen Namen trägt das erste Projekt des Ensembles, getragen von der integrativen Idee, Instrumentalisten “unterschiedlichster kultureller Herkunft” im gemeinsamen Musizieren zu verbinden. So gesehen dürfte sich jedes Orchester als Integrationsprojekt bezeichnen. Ihr gemeinsamer Nenner ist der Kunstanspruch der “westlichen” Hochkultur.
So auch hier. Das Programm besteht nur aus westlicher, absoluter Musik. Bach ist vertreten mit der “kleinen Fuge” für Orgel, dem Violinkonzert E-Dur und einem Satz für Solovioline, Beethoven mit der “Cavatina” aus dem späten Streichquartett op. 130, Mozart mit dem Eingangssatz aus dem “Dissonanzen”-Quartett.
Daneben stehen als neuere Werke Arvo Pärts namengebendes “Orient & Occident” aus dem Jahr 2000 und, als großer Schlussteil, das Streichquartett f-Moll von Reinhard Schwarz-Schilling aus dem Jahr 1932.
Kammermusikalisch war auch das Spiel der zwanzigköpfigen “Symphonia”. Feiner, reiner Streicherton, waches Zusammenspiel und äußerste Disziplin prägte ihr Spiel. Letztere dominierte zwangsläufig ein wenig, so dass die Quartettsätze generell etwas pauschal klangen. Aufgewogen wurde dies durch differenzierte Dynamik und das duftige, transparente Klangbild. Phrasierung und Bewegung zeigten sich logisch und elastisch bei Bach, durch allzu deutlichen Taktschlag gestört bei Pärt. Fesselnd wiederum das Herantasten an Mozarts experimentellen Quartettsatz.
Höhepunkte bildeten die Solo-Auftritte der Münchner Geigerin Rebekka Hartmann, die fiebrige Glut und Temperament in die Bachschen Violinwerke und – als Konzertmeisterin – ins gemeinsame Spiel brachte. Ihre sichere, auch in der Mehrstimmigkeit berückend kantable Darbietung provozierte Spontanapplaus.
Einen langen Streicher-Atem und höchste Konzentration fordert nicht nur Beethovens “Cavatina”, die geradezu geflüstert wurde, sondern auch Reinhard Schwarz-Schillings Streichquartett. Zwar tonal, doch abstrakt angelegt, braucht seine emphatische Tiefe die Kraft reifer Künstler. Allein der langsame Mittelteil erstreckt sich über 18 Minuten – ein hartes Exerzitium, dem sich die jungen Musiker dem Förderer zuliebe unterziehen und es mit viel Engagement und Disziplin meistern.
Der Titel “Orient & Occident” jedoch wurde musikalisch nicht erfüllt. Die Kunstmusiktraditionen des Orients fehlten, abgesehen von den Glissandi in Arvo Pärts “Orient & Occident”. Kontraste, Cross-over? Fehlanzeige. Es sollten, so Schlüren, ja nur die “gemeinsamen Wurzeln östlichen und westlichen Musizierens” zum Ausdruck gebracht werden. Die aber liegen verborgen im Boden der Geschichte.
Von aktueller Relevanz ist die Vorgeschichte: Der Musik-Journalist Christoph Schlüren trat in Kontakt mit dem früheren Bundesminister Christian Schwarz-Schilling, dem Sohn des Komponisten. Beide initi-ierten dieses Projekt, das Völker-Integration und Werk-Neubelebung verbinden sollte. Als ehemaliger Schüler hatte Schlüren von den Sparmaßnahmen der Georgenschule erfahren und spontan vor der eigentlichen Tournee dieses Gastspiel in Reutlingen organisiert, das auch dem Gedenken an einen verstorbenen Mitschüler gewidmet wurde – als Klassentreffen, Gedenkfeier, Integrations-Demonstration, Benefizveranstaltung und Schwarz- Schilling-Hommage in einem.
Südwestpresse, Susanne Eckstein, 19. November 2010