Kritik zum Debütkonzert des Orchesters im Reutlinger General-Anzeiger

Orchester als Quartett – Reutlinger General-Anzeiger – Nachrichten – Kultur  19.11.2010 – 04:10 Uhr

BENEFIZKONZERT – Junge Streicher aus Ost und West musizieren auf hohem Niveau im Georgensaal

Orchester als Quartett

REUTLINGEN. »Symphonia Momentum Orient-Occident«: ein langer Name für ein hervorragendes Orchester. In ihm musizieren junge Leute, Frauen vor allem. Viele von ihnen sind Hochschulabsolventen oder Mitglieder der Münchner Philharmoniker. Bestreben des Orchesters ist es, Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft in der Musik zusammen zu bringen. Ein Integrationsprojekt also, das – nach dem Benefizkonzert im Georgensaal zu urteilen – auf hohem künstlerischen und menschlichen Niveau funktioniert. Dirigent Christoph Schlüren, Reutlinger und ehemaliger Schüler der Freien Georgenschule, hatte die Idee, für seine finanziell bedrängte Schule von einst dieses Konzert zu geben. Gleichzeitig sollte damit des verstorbenen Mitschülers Markus Weber gedacht werden.

»Orient-Occident« heißt programmatisch eine Komposition von Arvo Pärt aus dem Jahr 2000; das Streichorchester hat sie in ihrem Gegen- und Miteinander von westlichem Dreiklang und östlicher Liebe zur Linie verbindlich und mit Ausdruck musiziert. Ebenmäßig und rein im Klang und fundiert genug, um den elegischen Grund durchtönen zu lassen.

Von den Streichquartett-Bearbeitungen für Orchester, darunter die mit Gefühl und feiner Klangkultur musizierte Cavatina aus Beethovens Opus 130, machte vor allem das f-Moll-Quartett von Reinhard Schwarz-Schilling aus dem Jahr 1932 großen und bewegenden Eindruck. Ein umfangreiches, in die Tiefe gehendes Werk wie eine antike Tragödie: herb und dicht und schicksalhaft hart und mit Klage beschwert. Dies alles ohne großes Pathos, aber mit eindringlicher und starker Gebärde. Und mit einer Meisterschaft des Satzes geschrieben, die größte Bewunderung verdient.

Die Gäste aus München haben dieses Quartett, das die orchestrale Verstärkung wesensmäßig verlangt, mit Christoph Schlüren großartig musiziert. Nicht nur in spieltechnischer Hinsicht, wo sehr viel verlangt wird, sondern auch in der ergreifenden klanglichen Aussage. Konzentriert und mit Hingabe. Kontrastfähig. Linienmächtig. Weit in der Dynamik. Mit Innenspannung und einer Achtsamkeit, die sich nicht zuletzt darin bewiesen hat, dass einzelne Bögen oder Satzschlüsse nicht einfach aufhören, sondern dass hier Töne zu einem Ende gebracht werden.

Violinkonzert von Bach

Bachs Violinkonzert in E-Dur spielt Rebekka Hartmann technisch perfekt, ja brillant und mit einem Temperament und einem kühnen Zug nach vorn in den schnellen Sätzen, dass solche Virtuosität verblüfft – aber die musikalische Bindung ist bei ihr immer da. Auch an das Orchester. Bach mit Feuer und bedingungslos klar und frisch. Später hat Rebekka Hartmann noch das Andante aus Bachs zweiter Sonate für Violine solo gespielt. Tonschön. Mit Raum für alle Stimmen. Zusammenhängend in einer großen sanglichen Brückenform. Und technisch makellos. (hdw)

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